– Sieh... da ist sie!... da links... das ist sie, sagte Jules am Arm von Henry, als sie eines Tages
an der Brücke mit dem Kalvarienbild, das sich dort befand, vorbeikamen.
Mlle Lucinde und Mme Artémise kamen näher.
– Was meinst du? – fragte er, als die Damen vorbeigegangen waren. Hast du sie dir gut
angesehen?
– Ja...
– Und was?
– Sie ist nicht übel.
– Das glaube ich auch, sagte Jules lachend.
– Mir scheint, dass sie kleine Augen hat, setzte Henry hinzu.
– Na hör mal! sie sind im Gegenteil sehr gross, das lag daran, dass sie sie gesenkt hat; aber
hast du auf ihre Taille geachtet?
– Nein.
– Und ihre Haare, vor allem ihre Haare!
– Wie willst du...
– Man muss sie von Nahem sehen, wenn man mit ihr spricht, ist sie schön, dann hellt sich ihr
ganzes Gesicht auf und lächelt.
Er hätte sich gewünscht, dass Henry, indem er sich sogleich seiner Bewun- derung anschloss, wie er
selbst deren Gründe komplett erfassen würde, doch es ging ihm so, wie man darunter leidet, wenn man mit
jemandem bei klarem Mondschein zusammen ist, und er antwortet nicht, wenn Sie zu ihm sagen: Sieh doch die Perlen, die im
Fluss treiben, und dieser silberne Nebel, der über den Hügeln liegt; wie die Sterne funkeln! wie lau die
Luft ist! hörst du die Nachtigall?
Desgleichen was sein Drama betraf, da hatte Henry aufmerksam zugehört, und es gelobt, aber er hatte tausend
Stellen verstreichen lassen, ohne etwas dazu zu sagen. Er hätte zuerst den Plan erörtern, dann jede Szene
kommen- tieren müssen, hätte den Stil im einzelnen kritisieren und ihn im Ganzen gutheissen müssen;
er hatte nicht ausreichende Bemerkungen gemacht, hatte nur sehr wenig darüber gesprochen, und er kam nicht
ununterbrochen darauf zurück, wie der Autor es sich gewünscht hätte.
Sie waren, was die Literatur anging, nicht ganz einer Meinung. Jules hatte sich die Wertschätzungen von
früher bewahrt; Henry, der mehr Zeitungen las, hatte einige von ihnen getilgt und einige andere modifiziert,
er trat weniger leidenschaftlich für die grossen Dichter ein und war gleichgültiger gegenüber den
schlechten. Im Übrigen hatte er sich in Paris wenig mit den Künsten beschäftigt; Jules verstand
nicht, warum er nicht öfter ins Theater gegangen war und nicht versucht hatte, sich all den Berühmtheiten
der Epoche anzuschliessen; auch zeigte er nicht diese exklusive Vorliebe für das Schöne, die in der Welt
nur Vorlagen für Dramen, schöpferische Gegensätze und Sonnenuntergänge sieht.
Mme Artémise, die Jules umwarb und sich ganz für ihn einsetzte, schickte ihm eines Morgens einen
recht unsauber gefalteten, mit Nadelstichen verschlos- senen Brief, ähnlich denen, die "Muschkoten" ihren
"Liebchen vom Lande" schicken; er strotzte von eigenwilliger Orthografie, aus der nichtsdestoweniger die recht
eindeutige Bitte um eine Summe von einhundert Francs herauszulesen war; sie brauchte das Geld dringend und würde
es ihm wie allgemein üblich in vierzehn Tagen zurückgeben.