Henry musste laufen, eine Droschke wäre nicht schnell genug gewesen; er wäre gern gesprungen wie ein
elastischer Ball, er spürte stählerne Sprung- federn in seinen Waden; er gab sein Gepäck einem
Träger und wollte losgehen. Man musste ihn sogar daran erinnern, für die Fahrt zu bezahlen.
Er hielt einige Male ausser Atem an und lehnte sich an eine Mauer, um nicht zu fallen. "Was habe ich bloss, was
habe ich bloss, dass ich so schnell laufen muss? sagte er zu sich selbst, was treibt mich so an?" Und er
versuchte langsamer zu gehen, aber bald überraschte er sich dabei, dass er wieder lief. Am Ende jeder Strasse
sagte er sich: "Ich habe ein Viertel, ein Drittel, die Hälfte geschafft, jetzt sind es fast dreiviertel, noch
eine, und ich bin da,"
In der Strasse angekommen, in der er wohnte, zählte er die Lindenbäume, und als er am letzten vorbei
war, zählte er die Häuser: "Jetzt sind es noch drei...noch zwei!" Er blieb einen Moment vor der
Tür stehen und betrachtete sie; er hob den Arm und zog am Klopfer.
Siebzehntes Kapitel HENRY AN JULES
"Gestern abend ist sie in mein Zimmer gekommen.
Den ganzen Tag über hatte sie mich auf eine so seltsame Art angesehen, und auch ich konnte ihrem Blick nicht
ausweichen; der mich wie ein Kreis umgab, in dem ich lebte. Schon seit einiger Zeit hatte sie die Sitzordnung bei
Tisch geändert und mich neben sich plaziert; manchmal wandte sie, wenn sie redete, den Kopf und richtete mit
leiser Stimme ein Wort an mich, wobei wir uns mit dem Gesicht ganz nahe kamen und, die Blicke miteinander vereint,
uns fast berührten. In solchen Momenten lächelte sie und machte ihre gewohnte Geste, wobei sie mit ihren
schönen Augen klimperte und seufzte.
Als ich am Mittag heimkam, hörte sie meine Schritte auf der Treppe; sie öffnete ihre Tür, trat zur
Schwelle, um mich zu begrüssen, und lud mich ein, bei ihr einzutreten. Ihr Zimmer war mit Möbeln
vollgestellt, die Vorhänge waren geschlossen; es war warm, es roch gut, es waren Gerüche, die von ihrem
Toilettentisch kamen; sie selbst roch danach, es war etwas Mildes und gleich- zeitig Frisches, wie eine
Sommerbrise.
Sie ging vor mir, ich war dahinter, fast an ihren Fersen; ich sah ihren braunen Nacken, an dem die kleinen schwarzen
Härchen wie von selbst auf der Haut klebten, deren Poren jede einzeln meinen Atem zu spüren schienen.
Ich kam ihr noch näher, sie war stehengeblieben, ich beugte den Kopf vor, zwischen ihrer Kleidung und ihrem
Körper öffnete sich ihr Hemd, ich sah ihre ganze Rückenlinie, die sich bald in der Krümmung
ihrer Taille verlor.
Sie drehte sich um und fing an zu lachen.
– Wozu diese flüssige Paste? fragte ich sie.
Sie antwortete mir:
– Damit reibe ich mir die Arme ein.
– Und dieser grosse rote Flacon?
– Das ist Rosenwasser, mit dem ich mir den Mund spüle.