JP Sartres  La Nausée – Der Ekel


    Wie schlagen sich seine philosophischen Grundsätze in seinen belletristi- schen Werken, den Romanen nieder? Der Titel seines dreibändigen Hauptwerks Les Chemins de la Liberté verrät schon den Anspruch, der ihn umtreibt: Wie frei kann der Mensch sein, welche Umstände setzen ihm Grenzen und machen seine totale Freiheit unmöglich? Im ersten Band, L'Âge de Raison (Zeit der Reife) stellt sich dieses Problem für den Mann und die Frau, Mathieu und Marcelle, auf unterschiedliche Weise, als die Geliebte feststellt, dass sie schwanger ist.

    B: Vor der genannten Trilogie (Bände zwei und drei: Le Sursis, Der Aufschub, und La Mort dans l'Âme, Der Pfahl im Fleische), hat Sartre bereits den Roman La Nausée ("Der Ekel", 1928) verfasst, den, lässt man sich von dem vielsagenden Titel leiten, sich mit Blick auf die Thematik: Erscheinungs- und Ausdrucksformen der Selbst-Wahrnehmung, des Seins-für-sich als auch des Mit-Seins, des Lebens mit den Anderen, näher anzuschauen aufschlussreich sein könnte.
    Der Ich-Erzähler Roquentin, Historiker in dem irgendwo an der Kanalküste gelegenen fiktiven Ort Bouville, verbringt seine Zeit mit dem Schicksal eines Marquis de Rollebon, der im 18.Jahrhundert gelebt hat und von hier stammt. In der Stadtbibliothek trifft er, wenn er im Lesesaal in den Archiven darüber forscht, auch regelmässig den Autodidakten an, der sich seit mehreren Jahren durch den Buchbestand Autor für Autor buchstäblich von A bis Z – im Augenblick ist er beim Buchstaben L angekommen – hindurchliest.
    Der Ich-Erzähler wird wiederholte Male von einem Ekelgefühl heimgesucht, das ihn anfallartig erfasst angesichts seiner alltäglichen Situation und das sich auch auf seine Wahrnehmung der ihn umgebenden Dinge niederschlägt. Dann wiederum erlebt er ein Umschlagen ins Gegenteil, wenn ihn beim sonntäglichen Flanieren durch die Strassen ein Drang nach Abenteuer überkommt, eine Erwar- tung, etwas zu erleben, das ihm selbst bei seinen vielen Reisen, in Meknes, Aden oder Shanghai, nicht vorgekommen ist: etwas Unerhörtes, das am Ende der Strasse passieren wird, oder am Ende der nächsten... Es ist ein schnell vor- übergehender Rausch.
    Er bewegt sich in der Menge, gehört aber nicht dazu. Es war ihr Sonntag, nicht seiner. " Ich ging auf leisen Sohlen, ich wusste nichts mit meinem abge- härteten und frischen Körper anzufangen mitten unter dieser tragischen Menge, die sich ausruhte."
    " Es ist besser, geliebt zu haben, als noch zu lieben." Er hat von Anny, seiner früheren Geliebten und Begleiterin auf seinen Reisen, einen Brief bekommen, sie werden sich treffen.
    Er besucht das Museum von Bouville, um noch einmal das Portrait von Olivier Blévigne anzusehen, an dem ihn bisher immer etwas gestört hat. Er geht an der langen Galerie von Bildnissen lokaler Grössen vorbei, von bedeutenden Männern, die im 19.Jahrhundert die Stadt zu dem gemacht haben, das sie heute ist. Als Abgeordneter hatte Blévigne in Paris nach der Niederschlagung der Commune den "Club der Ordnung" gegründet; in einer berühmten Rede beklagte er sich darüber, dass die herrschende Klasse nicht mehr befehlen wolle. "Befeh- len ist kein Recht der Elite, es ist ihre vornehmste Pflicht." Er war tatsächlich nur 1 Meter 53 gross. Nach Durchschreiten des Saales dreht Roquentin sich um: "Lebt wohl ihr schönen Lilien, unser Stolz und unsere Daseinsberechtigung, lebt wohl, ihr Schweine."