Roquentin belächelt seinen Glauben an die Menschen als Geschöpfe Gottes, er grüsst im
Vorbeigehen den katholischen Humanismus und die Humanisten, die ihm in der Vergangenheit schon begegnet sind,
die "linken" Humanisten, die humanistischen Philosophen in Paris, doch er hält seinen Spott zurück.
Plötzlich ist er da, der Ekel, die Krise schüttelt ihn durch und durch. Er bricht überstürzt
auf, läuft umher, das Meer hat eine grüne Färbung; in Wirklichkeit ist es kalt und schwarz. Er
nimmt ausgeprägt die Farben der Gegenstände wahr, Häuser aus gelben Klinkern, himmelblaue Scheiben,
die rote Sitzbank mit dem roten Plüsch, den Tausenden roten Pfötchen. Er steigt in die Strassenbahn,
springt vor der Haltestelle ab. Im Park lässt er sich zwischen schwarzen Bäumen auf eine Bank fallen.
Hier hat er beim Anblick der schwarzen knotigen Baumwurzel eine Erleuchtung. Die Dinge enthüllen ihm ihre
Existenz in ihrer erschreckenden und obszönen Nacktheit, die blauen Säulen, der Musikpavillon, die
Kastanienbäume mit ihrer schwarzen Rinde, ihr Grün dringen heftig auf ihn ein. Es gibt für ihn
keine Mitte zwischen der Nichtexistenz und ihrer überschäumenden Fülle. Es ist ein Zuviel, sein
Tod wäre ein Zuviel, seine Leiche, sein Blut auf den Kieseln.
Er notiert: Das Wort Absurdität entsteht jetzt unter meiner Feder. Er glaubt, den Schlüssel seiner
Existenz gefunden zu haben: alles geht auf diese funda- mentale Absurdität zurück. Die Farben, das
Schwarz der Wurzel, das Rot und das Blau, sind nicht wirklich, er sieht sie nur; das Sehen ist eine abstrakte
menschliche Erfindung. Einen Moment lang sitzt er reglos in eine Ekstase ver- sunken. Da versteht er plötzlich
seinen Ekel. Das Wesentliche ist die Kontingenz; die Annahme eines Seins kann die Existenz nicht erklären; die
Kontingenz ist kein Schein, den man vertreiben kann, sie ist das Absolute, die vollkommene Grundlosigkeit. Bei
der Einsicht, dass alles grundlos ist, dieser Park, die Stadt, er selbst, dreht sich ihm der Magen um. Ein
Bewusst-Werden seines Nichts über- kommt ihn wie eine Erlösung; er nimmt das Wiegen der Äste der
Bäume wahr, die vom Wind geschüttelt werden. Es ist ein Gefühl der Befreiung, das wenige Sekunden
anhält, danach sind alle Hoffnungen weggefegt.
Er fasst einen Entschluss: er wird das Buch nicht schreiben, und er wird aus Bouville weggehen. Er fährt
nach Paris, um sich mit Anny zu treffen. Das Wieder- sehen mit der ehemaligen Geliebten, nachdem sie sich fünf
Jahre lang aus den Augen verloren hatten, ist wohl das zentrale Ereignis des Romans: es berührt die schmerzliche
Erfahrung der Zurückweisung und des Verlassenwerdens und könnte Aufschluss darüber geben, was diese
Erfahrung mit dem Ich-Erzähler, hinter dem sich ja auch Sartre verbirgt, macht, wie er die Enttäuschung
verarbeitet, mit Kompensation, mit Entleerung, oder mit einem Ressentiment.
Um es kurz zusammenzufassen: Es ist nicht ganz klar, aus welchem Grund Anny ihn noch einmal wiedersehen will;
anscheinend um das Kapitel mit ihm endgültig abzuschliessen. Ihre wesentlichen Aussagen sind: sie habe sich
verän- dert, habe sich überlebt; sie lasse sich von einem jüngeren Begleiter aushalten, mit dem sie auf
Reisen gehen werde; schon am Tag darauf werden sie nach London abfahren. Für ihn, der sich Hoffnungen auf einen
Neuanfang gemacht hatte, bedeutet es eine endgültige Abfuhr. Seine Reaktionen lassen sich an den wechselnden
Regungen ablesen, mit denen er sie wahrnimmt: mal findet er sie, die ein wenig dick geworden ist, anziehend, dann
aber sieht er das grässliche Gesicht einer alten Frau. Am nächsten Tag beobachtet er sie, wie sie in
den Zug nach London einsteigen, sie in einem Pelzmantel und mit Hutschleier, er ein junger braungebrannter Typ,
sicherlich ein Ausländer.