Am nächsten Morgen machte sie sich, da es ihr zu gefährlich erschien, sofort zu ihrem Haus
zurückzukehren, auf zu einem Gehöft, zu dem d'Orgemont ihr den Weg gewiesen hatte; der Besitzer,
Galope-chopine, stehe insgeheim auf Seiten der Regierung, und seine Frau werde ihr ein Versteck bieten.
An diesem Morgen hatten die Chouans damit begonnen, ihren Plan in die Tat umzusetzen, nämlich Fougères
anzugreifen, um es einzunehmen. Von ihrer Position aus konnte Marie die Gegend und die Schlacht, die sich nun
entwickelte, gut überblicken. Unter- halb des Schlosses, in dem sich die Regierungssoldaten verschanzt hatten,
war, angeführt von Montauran und der Madame du Gua, das Heer der Ziegenfell- träger versammelt, die nun
versuchten, die Hänge hinauf zum Schloss zu erklim- men. Doch das Schloss war gut gesichert, und der Kommandant
Hulot hatte für die Chouans noch eine Überraschung bereit. Er hatte nämlich nach den Ereig- nissen
in La Vivetière nachts unbemerkt Leute zur Verstärkung sowie Kanonen herschaffen lassen, mit denen er
nun in die Menge der Ziegenfelle feuern liess. Montauran erkannte schnell, dass der Angriff zum Scheitern verurteilt
war und der Plan, Fougères zu erobern, aufgegeben werden musste. Marie verfolgte das Geschehen angespannt,
wobei auch Sympathie für Montauran mitschwang, zu dem sie sich immer noch hingezogen fühlte.
Sie setzte ihren Weg fort und gelangte zu dem Gehöft, in dem sie Zuflucht zu finden hoffte; für
Balzac eine Gelegenheit, die primitiven Lebensbedingungen der bäuerlichen Landbevölkerung jener Zeit,
die in einem krassen Gegensatz zu denen der Stadtbewohner wie auch der Pariserin Marie standen, zu beschreiben,
die fast unwegsame Umgebung und die schlammige Zufahrt mit den darauf ausgelegten Steinen, über die sie mit
grossen Schritten zu dem Haus gelangte, das eher eine Hütte war. Durch eine nun folgende Wendung erhält
der Roman einmal mehr, wie schon zuvor bei den recht unwahrscheinlichen Begegnungen der beiden Feinde, einen
kolportagehaften Charakter: im Haus trifft sie ausge- rechnet auf den Edelmann, der in La Vivetière mit
der Anschuldigung, sie sei eine Dirne, ihr Unglück verursacht hatte. Nachdem sie sich in den Besitz eines
Gewehres bringen konnte, machte sie ihn zu ihrem Gefangenen und brachte ihn in die Stadt. Der Kommandant ordnete
seine sofortige Exekution an, doch Marie erhob Einspruch, der Graf de Bauvan sei ihr Gefangener, und ausserdem
könne er bei der Durchführung ihrer Pläne wenigstens für zwei Tage noch nützlich sein,
danach würde er durch die Gewehre fallen.
Sie begann, als Teil ihres Racheplans, ein Ränkespiel mit dem Grafen, das darin bestand, ihn glauben
zu lassen, er habe sie mit seinem Charme dahin gebracht, ihm die Beleidigung zu verzeihen. Zu dem Zweck putzte sie
sich und ihr Zimmer heraus, legte ein elegantes Kleid an und liess von Francine Blumen herbeischaffen. Um mit dem
Grafen allein zu sein, schickte sie sogar Hulot fort, der ihr Tun spöttisch und zweifelnd verfolgte.
[Die Gedanken über das Bewun- dernswürdige weiblicher Verstellungskunst, die Balzac ihm gewissermassen
"in den Kopf" legt, können ohne weiteres als seine eigenen angesehen werden.] Sie empfing den Grafen
nachlässig dahingestreckt, bewirtete ihn und erweckte in ihm ein Verlangen, so dass er sich sogar Hoffnungen
machte, dass sie freund- schaftliche Gefühle für ihn hegen könnte. Sie erfährt über den
Ball, wann er stattfindet, und verlangt von ihm eine Sicherheit, wenn sie auf ihm erscheint, Nach seiner
Zusicherung, dass sie unter seinem Schutz steht, geleitet sie ihn hinaus und überlässt ihm wie einen
grossen Gunstbeweis die Hand, die er mit überschwänglichen Dankesbezeugungen küsst.