Glanz und Elend der Kurtisanen

    Als Herrera Esther eröffnet, dass sie nach der Unvorsichtigkeit Luciens, um die Pläne für seine Zukunft nicht zu gefährden, gleich am nächsten Tag die Wohnung verlassen müsse und ihn für eine lange Zeit nicht sehen dürfe, ist sie untröstlich, am Boden zerstört. Herrera beginnt sogleich mit der Umsetzung der Massnahmen: Esther wird ein Zimmer im Wald von Saint-Germain zugewiesen, und sie wird durch ein Double ersetzt, eine äusserst attraktive junge Engländerin, die nun wie vordem Esther in der Wohnung mit der Dienerin Europe und der Köchin Asie lebt. Mit ihr soll der liebestolle Baron getäuscht werden, indem man ihn auf ihre Fährte lockt.

    Nucingen stürzt sich erneut in seine Bemühungen, die Unbekannte aufzu- spüren, so sehr, dass er sich sogar fette Gewinne mit Geschäften entgehen lässt, die nun andere machen. Er bezahlt Mittelsmännern mit Kontakten zur Polizei, zu Agenten sowie zu dubiosen Kreisen, Schnüfflern und Spitzeln, viel Geld, damit sie ihn mit dem fähigsten Mann für einen solchen Auftrag zusammenbringen. Hier holt Balzac weit in die Geschichte Frankreichs aus, zeichnet die Rolle der Polizei während der verschiedenen Regimes nach: vor der Revolution, in der Zeit des Wohlfahrtsausschusses, als keine Polizei nötig war – dank der "Bürger- schutz" genannten gegenseitigen Bespitzelung, dann unter dem Direktorium und dem Ersten Konsul, als wieder eine Polizei geschaffen wurde, schliesslich unter Ludwig XVIII., der gar eine eigene Gegenpolizei aufstellen liess. Es werden die Laufbahnen einiger Akteure der weiteren Handlung nachgezeichnet, einer ist der schon aus den "Chouans" als Vertreter der Republik bekannte, damals fünfund-zwanzigjährige Corentin, ein weiterer der viel ältere Peyrade, sein früherer Lehrmeister. Dieser Peyrade, der unter Napoleon zeitweise als Polizeikommissar die Bürger Antwerpens überwacht hatte, ist in dem Viertel als der unscheinbare "Vater Canquoëlle" bekannt, er betreibt aber in einem unauffälligen Haus in einer oberen Etage, wo er mit seiner unehelichen Tochter Lydie in zwei nebeneinander liegenden Wohnungen lebt, deren Türen mit starken Riegeln und Angeln gesi- chert sind, insgeheim eine Art Nachrichtendienst. Er empfängt dort unbemerkt Zuträger und Agenten; seine Tochter, die von seinen geheimen Machenschaften nichts ahnt, ist eine talentierte Musikerin und komponiert selbst; für sie tut er alles, sie ist fromm und geht regelmässig zur Beichte und zur Kommunion.
    An diesen alten Fuchs wird Nucingen durch seine Mittelsmänner verwiesen, und es wird ein Treffen vereinbart. Um mit seiner Tochter etwas zu besprechen, betritt Peyrade die Wohnung Lydies, aber zunächst spielt sie ihm am Klavier ein Stück von Beethoven vor. Er eröffnet ihr, was ihm unter den Nägeln brennt: sie sei jetzt einundzwanzig, und es sei an der Zeit, dass sie heirate. Ihr jedoch liegt der Gedanke an eine Heirat zur Zeit noch fern, sie gesteht dann aber doch, dass sie neulich in den Tuilerien einen jungen Mann am Arm einer feinen Dame gesehen habe, Lucien de Rubempré, einen, der so gut aussehe wie er würde sie zum Mann haben wollen. Nachdem er ein paar Stunden sein Vaterglück aus- gekostet hat, geht der Alte mit gefärbten Haaren und in einer Verkleidung zu dem Treffen mit Nucingen. Er verlangt von ihm zunächst zehntausend Francs, um gegebenenfalls Leute bestechen zu können, er hat aber eine weitere Forderung: als Gegenleistung soll Nucingen seinen Einfluss geltend machen, damit Peyrade einen Posten bei der Polizeipräfektur erhält.