Das klingt sehr nach einer Sichtweise, in der man wohl den Ausdruck eines Ressentiments erkennen kann –
aber wie weit ist es auch die Balzacs, wie weit spiegelt, wie sein Protagonist seine Umwelt und insbesondere die Frauen
betrachtet, auch eigene Erfahrungen wider?
Es reihen sich Feststellungen, versehen mit Fragezeichen und in einem Klageton, aneinander, wie: Was lieben
sie in uns?... Kann eine umworbene Frau an die Liebe eines solchen Mannes glauben? Kann sie eine solche Liebe
suchen?... Dann wiederum wird recht dick aufgetragen, mit bissig-ironisch über- zeichneten Charakterisierungen,
wenn er vom diensteifrigen Gebaren von Wech- selmaklern spricht, die für "blasse Zierpuppen den Laufburschen
spielen",
oder von "seelenlosen Geschöpfen, die ihr Leben damit verbringen, Kaschmirschals zu probieren oder
Kleiderständer der Mode zu spielen..."
– Grosse Männer brauchen orientalische Frauen, die keinen anderen Gedan- ken kennen, als
deren Bedürfnisse zu erkunden... Und ich, der ich mich für ein Genie hielt, musste ausgerechnet solche
Modedämchen lieben!
Umgeben von einer Gesellschaft, in der sein Wissen, der Schatz, den er besass, keinen Kurswert hatte, in
der er sich verlassen, verloren wie in einer Wüste sah, kam er zu einem Entschluss: mit seinen 1100 Francs
wollte er drei Jahre lang äusserst bescheiden sein Leben bestreiten, mit Ausgaben von einem Franc am Tag,
was sich aus der Summe von 1100 Francs für drei Jahre ergibt: 365x3 = 1095. Seinem Freund zählte er im
einzelnen auf: drei Sous für Brot, zwei für Milch, drei für Fleisch usw. Morgens holte er sich
Wasser am Brunnen der Place Saint-Michel. Er fand bei einer Wirtin ein bescheidenes Mansardenzimmer für drei
Sous am Tag in einer Gegend, in der, wie er sich erinnerte, auch Jean-Jacques Rousseau gewohnt hatte. Er gab sich
nun der angespannten Geistes- arbeit hin, der Suche nach Ideen, und erlebte die "unsäglichen Wonnen" des
Nachdenkens, wenn Einfälle "aus einer unbekannten Quelle in sein zuckendes Hirn sprangen", wenn ihm auf der
Suche nach einem schlagenden Beweis für sein System neue Argumente oder Formulierungen einfielen. Dabei war
er in Gedanken ganz erfüllt von der Vorstellung von der eleganten Frau, der er einst die Hände
küssen, die ihm über das Haar streichen und zu ihm sagen würde: "Du hast viel gelitten, mein
armer Engel!"
Zwei Projekte nahm er in Angriff, von denen er hoffte, dass sie ihn berühmt machen, ihm einen Namen und
ein Vermögen einbringen würden: Das erste, eine Komödie, erwies sich als Reinfall, hatte ihm
Spötteleien: "das Werk eines jungen Mannes, der gerade vom Collège kommt...", eingebracht und ihm seine
Illusionen weggefegt. Nun ruhten all seine Hoffnungen auf der zweiten Arbeit, seiner Theorie des
Willens, für die er orientalische Sprachen, die Anatomie, die Physiologie studiert hatte und die, wie er
glaubte, der Wissenschaft einen neuen Weg weisen werde. Für dieses Ziel hatte er seine meiste Zeit geopfert,
hatte Vorlesungen in der Bibliothek und im Museum gelauscht und das Leben eines Benediktinermönchs
geführt. Dabei war er unablässig von dem Verlangen nach einer Frau erfüllt, und dieses Leben ein
einziger Widerspruch, eine fortwährende Lüge. In hitzigen Fieberträumen sah er sich von
hinreissenden Frauen umgeben, fuhr in glänzenden Equipagen durch Paris, stürzte sich, trunken wie der
heilige Antonius in seiner Versuchung, in wilde Ausschweifungen.