In der Corona-Krise  –  Flaubert lesen

      "Die erste" Éducation Sentimentale

 Erstes Kapitel

    Der Held dieses Buches kam an einem Oktobermorgen mit dem Herzen eines Achtzehnjährigen und einem Diplom der Reife in Philosophie in Paris an. Seine Ankunft in dieser Hauptstadt der zivilisierten Welt führte durch das Saint-Denis-Tor, dessen reizvolle Architektur er bewundern konnte; er sah in den Strassen von einem Pferd und einem Esel gezogene Mistwagen, Bäckerkarren, die mit Menschenkraft gezogen wurden, Milchfrauen, die ihre Milch verkauften, und Portiersfrauen, die den Bürgersteig fegten. Dabei herrschte ein beträchtlicher Lärm. Unser Herr beobachtete, mit dem Kopf nahe an der Wagentür der Postkutsche, die Passanten und las die Aufschriften der Aushängeschilder.

    Als er, nachdem er aus dem Wagen ausgestiegen war, für die Beförderung bezahlt, sein Gepäck von dem für die Einziehung der indirekten Steuern verant- wortlichen Beamten hatte taxieren lassen, sich einen Träger gesucht und sich schliesslich für ein Hotel entschieden hatte, fand er sich auf einmal in einem leeren, fremden Zimmer wieder, liess sich in einem Sessel nieder und begann zu grübeln, anstatt seine Koffer auszupacken und sich das Gesicht zu waschen.
    Mit auf die Schenkel gestützten Händen und weit geöffneten Augen starrte er mit einem stumpfen Gesichtsausdruck auf die vier Kupferfüsse einer alten Kommode aus glattem Mahagoni, die dort stand.
    Was ist trauriger als ein Hotelzimmer mit seinen früher einmal neuen, von aller Welt benutzten Möbeln, seinem unwirklichen Halbdunkel, seinen kalten Wänden, die einen nie umgeben haben, und einem sich bietendem Ausblick auf einen Hinterhof von zehn Fuss im Quadrat, mit verdreckten Traufen in den Ecken und mit bleiernen Becken auf jeder Etage? Da lobe ich mir doch ein Zimmer in einer Herberge, mit Dielen aus hellem Holz, mit zwei Kirchenstühlen als einzigen Möbeln, einem grossen Bett mit einer grünen Serge, und, auf dem Kaminsims aus Gips, einem schlichten vergoldeten Weihwasserkessel mit einem geweihten Buchsbaumzweig!
   Das einzige Fenster geht zur Landstrasse hinaus, man ist oberhalb des Schildes, das über der Tür herabhängt, man kann es mit der Hand berühren; der Weinstock, der das ganze Haus umrankt, klettert bis zu dir hinauf, und wenn du dich vorbeugst, um hinauszuschauen, streicheln seine Blätter deine Wangen. Man kann bis hierher die Schnitter auf den Feldern hören, und abends hört man den metallenen Lärm der zurückkehrenden grossen Pferdewagen.

    Seine Mutter sagte zu ihm:
  – Nun sag, wovon träumst du bloss?
  Und als er sich nicht im geringsten bewegte, schüttelte sie ihn an den Armen und wiederholte noch einmal dieselbe Frage.
  – Was ich habe? was ich habe? sagte er, wobei er plötzlich aufsprang, aber ich habe überhaupt nichts!
  Aber er hatte doch etwas.