Mme Renaud war übrigens eine wunderbare Frau, eine liebenswerte Frau, deren mütterliche Fürsorge
etwas Zartfühlendes und Liebevolles hatte. Man sah sie den ganzen Morgen mit einer spitzenbesetzten
Nachthaube, die gleichzeitig ihre herabhängenden Haare verbarg, und ihr gürtelloses Kleid, dessen
breite Falten von den Schultern herabfielen, liess sie schlicht erscheinen, und sie vermittelte darin den Eindruck
einer gewissen Trägheit und Müdigkeit.
Oft sprach sie vom Unglück dieses Lebens, von dem Kummer, den sie durchlebt hat, von ihrer Jugend, die
nun schon lange zurücklag, aber sie hatte so schöne schwarze Augen und so schöne Brauen, ihr Mund war
so rosig und feucht, ihre Hand führte alle Bewegungen, die sie machte, mit einer so grazilen Anmut aus, dass man
annehmen musste, dass sie ein wenig übertrieb. Wenn sie sich ankleidete und ihren grossen Florentiner Strohhut
mit einer weissen Feder aufsetzte, war sie eine königliche Schönheit voller Frische und Glanz; wenn sie
ging, knarrten ihre Stiefelchen wie mit tausend Verführungen, sie hatte eine etwas ritterliche und
männliche Art, die jedoch immer durch ihren Gesichts- ausdruck, der im allgemeinen von einer melancholischen
Sanftheit war, abgemildert wurde.
Auch wenn sie sich in gewissen Momenten als Familienmutter und als reife Frau gab, so kannte doch niemand ihr
Alter, und ich hätte wohl den berühmtesten Sklavenhändler zwischen Basra und Konstantinopel
herausgefordert, wenn ich mich dazu geäussert hätte. Zwar war ihr Hals, den sie gern sehen liess, etwas
zu füllig, dagegen verströmte sie einen so süssen Duft, wenn man ihr nahe kam! Sie verbarg, das ist
wahr, die untere Partie ihrer Beine, dagegen zeigte sie die Spitze ihres Fusses, und der war sehr hübsch;
hinter den Ohren konnte man sehr wohl auf dem Kopf einen leichten hellen Streifen bemerken, der darauf schliessen
liess, dass an dieser Stelle die Haare auszufallen begannen; aber wieso war etwas an ihrer Stirn, das dazu einlud,
sie zu küssen? warum weckten die beiden schwarzen Haarsträhnen, die auf ihre Wangen herabfielen, den
Wunsch, sie zu berühren, sie glattzustreichen, ganz nahe ihren Duft einzuatmen und die Lippen darauf zu
pressen?
Im Winter blieb sie in ihrem Zimmer, sass nähend oder lesend zwischen dem Fenster und dem Kamin an einem
kleinen Arbeitstisch, den sie besass, seit sie ein junges Mädchen war. Wie oft betrachtete sie nicht
während langer Stunden, die sie allein verbrachte, die in den Palisander eingelassene gelbe Blume aus dem
Holz eines Orangenbaums, dabei traurig über tausend Dinge grübelnd, von denen ich nichts weiss!
dann hob sie wieder den Kopf und bewegte wieder seufzend ihre Nadel oder presste die Lippen zusammen; aber
sobald es wieder Frühling war und die ersten Fliederbüsche blühten, nahm sie ihr Zeug und setzte
sich in die Laube und blieb dort bis zum Sonnenuntergang. Wenn die jungen Leute, die in ihren Zimmern arbeiteten,
aus dem Fenster in den Garten sahen, entdeckten sie hin und wieder ihren weissen Kittel zwischen den Bäumen;
sie ging auf dem rückwärtigen breiten Weg entlang der Mauer spazieren, betrachtete die Spaliere,
ebenso einen Sprössling, oder betrachtete nichts, bückte sich, um Veilchen zu pflücken, brach
mit den Fingern tote Zweige des Heckenrosen- strauchs ab, lief hin und her. Am Morgen begoss sie, noch mit
Lockenwicklern, selbst die Blumen, sie genoss es, wie sie sagte, sie zu bewundern, insbesondere das Geissblatt
und die Rosen, und sie nahm ihren Duft mit allen Sinnen auf.