Gerade als Camusot das Verhör beenden will, wird ihm eine Pförtnerin gemeldet, die ein wichtiges
Schriftstück, Monsieur de Rubempré betreffend, zu überbringen habe. Es stellt sich heraus, dass
es ein von Esther am Tag ihres Todes geschriebener, an Lucien gerichteter Brief ist. Darin erklärt sie, dass sie
durch ein schnell wirkendes Gift "in einer hübschen schwarzen Johannisbeere", für das sie
fünfzigtausend Francs bezahlt habe, ohne Schmerz und ohne zu leiden sterben werde. Der Ekel, den sie empfand,
als sie sich Nucingen, diesem Ungeheuer, der sie gekauft habe, hingeben musste, habe ihr den Tod liebenswert
erscheinen lassen. Was die Heirat Clotildes mit Lucien angeht, so verstehe sie nicht, wie man sich so ziere –
man müsse "schon vom Faubourg Saint-Germain stammen und keine zehn Pfund Fleisch auf den Knochen haben..."
Madame de Sérizy, von der sie wisse, dass sie sich ihretwegen mit ihm überworfen habe, werde ihm
verzeihen, wenn sie erfahre, dass sie tot ist. Sie weist ihn an, unter ihrem Kopfkissen nachzuschauen und das
Geld an sich zu nehmen. Sie schreibt, wie sie zu ihm sprechen würde, will fröhlich sein, es ist ihre
"letzte Plauderstunde".
"Adieu, mein kleiner Liebling, adieu! Möge mein Unglück dir zum Segen gereichen. Bis ins Grab
hinein bleibe ich Deine Esther."
Das Lesen des Briefes weckt im Richter Eifersucht und Neid; er sagt sich: Was ist denn Besonderes daran,
so geliebt zu werden! – das, "was alle Männer sagen, denen die Gabe, Frauen zu gefallen, verwehrt ist".
Er stellt Herrera die Freilassung in Aussicht, wenn er beweisen kann, dass er wirklich der Domherr aus Toledo ist,
denn der Brief belege ja eindeutig, dass kein Giftmord vorliegt, da Esther Gobseck Selbstmord begangen hat,
sondern, was die siebenhundert- fünfzigtausend Francs angeht, nur ein Diebstahl; ausserdem entlastet er Lucien,
den Herrera im Verhör sogar als seinen Sohn ausgegeben hat, diese "so unberührte Seele... ein
Kind, ein Dichter...!" Nachdem er angedeutet hat, er könne möglicherweise das verschwundene Geld
wiederbeschaffen, ordnet Camusot an, dass Collin-Herrera, dem er schon fast seine Geschichte abnimmt, nicht mehr
in die Conciergerie, sondern in die "Pistole" gebracht wird; dieser lässt, als er fortgeführt wird,
seine Verstellung fallen und geht nun in der aufrechten Haltung eines völlig Gesunden.
Camusot entwickelt eine bei Richtern häufig anzutreffende Eigenschaft: die Neugier; er wittert hier
ein Geheimnis, hinter das er kommen möchte. Allerdings lässt er eines ausser acht: eine mögliche
Testamentfälschung. Er lässt Lucien vorführen, der begleitet von zwei Polizisten blass und
niedergeschlagen bei ihm eintritt. Camusot gibt ihm den Brief Esthers, und als der ihn gelesen hat, bricht er
in Tränen aus. Der Richter eröffnet ihm in wohlwollenden Worten, dass er als Zeuge vernommen werde, da
ja nun erwiesen sei, dass der Tod der Esther Gobseck Selbstmord gewesen sei; nur mit dem Diebstahl des Geldes
liege vermutlich ein Verbrechen vor; wenn er offen und ehrlich seine Fragen beant- worte, werde er nicht wieder
in die Conciergerie zurückgebracht, sondern reha- bilitiert in die Freiheit entlassen.
Balzac flicht hier eine Bemerkung über das "ungeheure Missverhältnis zwischen den Waffen des
Gefangenen und denen des Untersuchungsrichters" ein. Lucien legt in dem nun folgenden Verhör eine Art
Generalbeichte ab, er gibt zu, die Familie Grandlieu bei seinem Bemühen, ihre Tochter Clotilde zu heiraten,
über die Herkunft des Geldes belogen zu haben, das ihm in Wirklichkeit von Herrera beschafft worden ist,
der, wie ihm einmal offenbart wurde, in Wirklichkeit der entflohene Sträfling Jacques Collin
ist.