Glanz und Elend der Kurtisanen

Drittes Buch

Wohin die schlimmen Wege führen


    Bevor Balzac den Faden der Handlung, die weiteren Schicksale Collins und Lucien de Rubemprés, wiederaufnimt, gibt er am Anfang des dritten Buches eine ausführliche Schilderung des französischen Gerichtswesens, von den Örtlich- keiten der in Paris befindlichen Gebäude des Strafvollzugs, den Gefängnissen, La Force, der Conciergerie, dem Untersuchungsgefängnis, dem Justizpalast. Er gibt eine detaillierte Beschreibung des für die Gefangenentransporte benutzten Gefährts, "Salatkorb" genannt, das, im Unterschied zum früher gebräuchlichen hölzernen Karren – der berüchtigten Charrette, die "eine Schande für die zivili- sierte Welt war" –, mit dem die Verurteilten zum Schafott transportiert wurden, versehen mit Gitterstäben aus Eisen und innen mit Blech ausgeschlagen so ausgelegt war, dass nicht von Gefangenen mit eigens angefertigten spitzen Werkzeugen Bretter oder Bohlen gelöst werden konnten – zudem wurden sie genauestens durchsucht, sie "könnten bestenfalls noch Uhrfedern zum Durch- feilen der Eisenstangen bei sich haben, die aber dazu völlig unbrauchbar sind" – und ihnen so die Flucht gelang. Dieser durch die erfindungsreiche Pariser Polizei vervollkommnete Salatkorb wurde dann als Muster für die Zellenwagen genom- men, in denen die Sträflinge ins Bagno gebracht wurden. Darüber hinaus gibt Balzac einen Überblick über die gesetzlichen Voraussetzungen, über die durch das Strafgesetzbuch, das zusätzlich zum Code Civil unter Napoleon geschaffen wurde, festgelegte Prozedur, die Befragung eines Beschuldigten durch einen Untersuchungsrichter, die Vorführung vor einen Haftrichter, usw.
    Der im folgenden mit all den Örtlichkeiten innerhalb seiner Mauern ausführ- lich beschriebene Gebäudekomplex mit einer langen Geschichte, der Justizpalast beispielsweise, unter dem der ursprüngliche Palast der französischen Könige begraben ist, der heute dessen Kellerräume bildet, "diese Architektur des zwölften Jahrhunderts, in die Kerker, Zellen, Gänge, Säle ohne Licht und Luft hineingezwängt wurden", repräsentiert die Epoche Ludwigs des Heiligen, der "Uhrenturm" (Tour de l'Horloge) erinnert an die Bartholomäusnacht, in der von hier aus das Signal zum Losschlagen gegeben wurde – Balzac bezeichnet das Viereck aus Häusern und Denkmälern am Seine-Quai, mit seinem Kleinod, der Sainte-Chapelle, als das "Heiligtum von Paris, seine Bundeslade" –, die Concier- gerie, die den Palast der Könige verdrängt hat, sowie der "Souricière" (Mause- falle) genannte Teil, der von den von ihm noch vorhandenen Küchen gebildet wird, sind Schauplätze der weiteren Handlung, der Auseinandersetzungen der beiden Gefangenen, Collin-Trompe-la-Mort und Lucien, mit dem Justizapparat.

    Bereits während seines Transports von La Force durch die Pariser Strassen zum Untersuchungsgefängnis kann Asie Collin eine Nachricht zukommen lassen: als eine in Lumpen gehüllte alte Gemüsehändlerin verkleidet verursacht sie mit ihrem Karren einen kleinen Verkehrsstau und zwingt so den Salatkorb kurz zum Anhalten, und mit einem Gekreische in einem nur für ihn verständlichen Kauder- welsch unterrichtet sie Collin, dass auch Lucien verhaftet ist und dass sie weiter seiner Spur folgen wird. In den häufigeren Fällen wird der Gefangene zunächst in die Souricière gebracht, der Salatkorb mit Collin fährt jedoch gleich an der Con- ciergerie vor, wo der Gefangene durch einen von zwei schmiedeeisernen Gitter- toren begrenzten Raum geführt wird, um dahinter eingeschlossen zu werden. Personen mit einer Besuchserlaubnis, die den Zwischenraum betreten dürfen, werden aufmerksam beobachtet, und auch zum Gericht gehörende Personen müssen sich ausweisen. Es handelte sich also um Hindernisse, die "zu allen Zeiten das waren, was sie heute noch sind, nämlich unüberwindlich!"