Als Lucien von Camusot mit der Aussage Herreras konfrontiert wird, er sei sein Vater, verliert er die
Fassung. Die Befragung wird nun vom Richter ganz offiziell weitergeführt, indem er den Kanzlisten, der bei den
Verhören anwesend ist und von den Aussagen Mitschriften anfertigt, auffordert, dem Untersuchungs- gefangenen
die entsprechende Passage aus dem Verhör Collin-Herreras vorzu- lesen. Er fordert Lucien auf, weiter zu
sprechen, doch der antwortet nicht mehr, Schweiss bildet sich auf seiner Stirn. Er war in einen Abgrund
gestürzt, hatte sich vom Wohlwollen des Richters täuschen lassen. Er erkennt, was er getan hat: er
hat seinen Komplizen belastet und damit gegen eine Verhaltensregel verstossen, indem er das Gesetz der
Solidarität, das, wie Balzac ausführt, über den von der Gesellschaft erlassenen Gesetzen stehe,
ausser Acht gelassen hat, nach dem er die Rechtfertigung Jacques Collins ihm selbst hätte überlassen
müssen.
Camusot geniesst den Triumph, mit einem gesuchten Sträfling und mit Lucien de Rubempré gleich
zwei Lieblinge der Gesellschaft, wie er meint, erledigt zu haben, und setzt noch eins drauf, indem er letzterem
vor Augen führt, in welch glücklicher Lage er sich als Erbe der etwa acht Millionen der Esther Gobseck
befinden könnte. Lucien hätte sich von Collin getrennt, wäre reich und hätte Mademoiselle de
Grandlieu geheiratet. Schlagartig verändert sich sein Zustand, der Schweiss ist getrocknet, er wird, gleich
Jacques Collin, zu einer Bronze- statue. Ironisch fragt er, ob er freikommt, wenn er das Protokoll unterschreibt;
Camusot ordnet an, dass er in den besten Raum in der Pistole gebracht werden soll.
Seine Zufriedenheit mit sich selbst währt nur kurz, denn die Mission Asies bei den Damen de Maufrigneuse
und de Sérizy, um sie zum Handeln zu drängen, hatte Erfolg. Ihm wird nämlich ein von den beiden
unterzeichneter Brief über- bracht, in dem sie erklären, Beweise für Luciens Schuldlosigkeit zu
haben. Der Richter begreift, mit der Überführung Luciens im Sinn der Gerechtigkeit, für sich selbst
jedoch zum Nachteil gehandelt zu haben. Vorsorglich versiegelt er aber die Korrespondenzen Luciens mit den beiden
Damen, die bei den Hausdurch- suchungen gefunden worden waren. Mit den Protokollen der Verhöre Collins und Luciens
begibt er sich zum Generalstaatsanwalt und übergibt sie ihm zum Lesen. Inzwischen ist auch Madame de
Sérizy im Justizpalast angekommen und nach einigem Umherirren in das Arbeitszimmer geführt worden.
Auf ihre Frage hin, ob Camusot den Brief bekommen habe, wird ihr geantwortet: "leider zu spät". Ihre herrische
Reaktion darauf ist: "Es kann nicht, es darf nicht zu spät sein".
"Frauen, schöne, einflussreiche Frauen wie Madame de Sérizy sind die verwöhnten Lieblinge
der französischen Zivilisation. Wenn die Frauen anderer Nationen wüssten, was eine elegante, reiche und
vornehme Frau in Paris darstellt, würden sie alle kommen wollen, um teilzuhaben an diesem herrlichen
Königtum. Die Frauen, die sich einzig den Gesetzen der Schicklichkeit beugen, verspotten die von den
Männern geschaffenen Gesetze. Sie sagen alles frei heraus; sie scheuen vor keiner Verfehlung, vor keiner
Torheit zurück, denn sie haben alle sehr gut begriffen, dass sie mit Ausnahme ihrer weiblichen Ehre und ihrer
Kinder, für nichts im Leben verantwortlich sind. Lachend sprechen sie die grössten Ungeheuerlichkeiten
aus. Bei jedem Anlass wiederholen sie die Worte der schönen Madame de Bauvan, die, als sie in den ersten Tagen
ihrer Ehe ihren Mann im Justizpalast abholte, zu ihm sagte: Sprich schnell das Urteil und komm nach Hause!"
(Zitat Balzac)